Vita Jakob Böhme (1575 – 1624)

Die Zeit um 1600 war extrem spannungsgeladen und von großen geistigen, wirtschaftlichen und politischen Umbrüchen gekennzeichnet: Martin Luther war 1546 gestorben und durch seine Reformation hatten sich innerhalb der christlichen Kirche zwei Glaubensrichtungen gebildet, die letzten Endes zu neuen Koalitionen und Machtverhältnissen innerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation führten. Da erschien quasi mit der Lutherbibel unter dem Arm  1594 der biedere Schuhmacher Jakob Böhme in der evangelischen Handelsstadt Görlitz. Fünf Jahre später ist er bereits Meister, heiratet und erwirbt sich Haus und Hof. Im Jahre 1612 beginnt er mit der Niederschrift eines erstaunlichen Werkes mit dem Titel „Aurora oder Morgenröte im Aufgang“.

Wie kam er dazu, ähnlich wie Hans Sachs in Nürnberg, sein Schuhmacherwerkzeug plötzlich mit der Schreibfeder zu vertauschen? Als hochsensibler Mensch hatte er begonnen, über die widersprüchlichen Zustände seiner Zeit zu reflektieren und geriet wohl deshalb schon um 1600 in eine tiefe geistige Depression (Aurora 19, 8-9): 

„8. Weil ich aber befand, daß in allen Dingen Böses und Gutes war – sowohl in den Elementen als auch in den Kreaturen – und daß es in dieser Welt dem Gottlosen genauso wohl erging wie den Frommen; auch daß die barbarischen Völker die besten Länder besitzen und daß ihnen das Glück doch wohl mehr beistünde als den Frommen.
9. Derowegen wurde ich ganz melancholisch und hoch betrübt und es konnte mich keine Schrift trösten ….“

Die Antwort auf seine Fragen versuchte er in seinem Glauben, d.h. bei Gott selbst, zu finden. Als Ergebnis wurde ihm eine Erleuchtung riesigen Ausmaßes zu teil, über die er mehrfach im Detail berichtet (u.a. Aurora 19, 12-13). Dadurch , daß das Werk ohne Zweifel christlich-religiösen Inhalts war, geriet er automatisch in Konflikt mit der Amtskirche. Das Originalskript wurde in Abschriften verbreitet und schließlich 1613 konfisziert; Jakob Böhme wurde mit einem Schreibverbot durch den Stadtpfarrer belegt: „Nimm einen Schuh in die Hand und nicht die Feder!“
Seit 1613 verlegte er sich zunehmend auf das Textilgewerbe und konnte durch die damit verbundenen Reisen als Händler sein Werk schneller verbreiten, was natürlich auch seinem Bekanntheitsgrad sehr förderlich war. Das Schreibverbot hielt er ca. 5 Jahre durch, dann nahm er innerlich gereift und auch auf Bitten seines Leserkreises die schriftstellerische Tätigkeit wieder auf und verfaßte von 1619 bis zu seinem Tod 1624 sieben weitere Bücher, 18 kleinere Schriften und unzählige Sendbriefe.

Allerdings blieb das Gesamtwerk durch seine Unlesbarkeit bis dato nur einem speziellen philosophisch interessierten Publikum vorbehalten.  Wenn man jedoch seine Schriften aus der eigenartigen Mischung von barockem Deutsch und Lateinisch übersetzt, kristallisiert sich Jakob Böhme als sprachgewaltiger Autodidakt heraus, der

  • faszinierende autobiographische Selbstzeugnisse über seine Erleuchtungserlebnisse und den damit verbundenen Bewußtsseinsprozess liefert
  • sich immer wieder mit direkten Appellen an den Leser bzw. den Menschen richtet
  • den Leser direkt in seine Ausführungen einbezieht, indem der die Dialogform verwendet
  • die göttlich-geistigen Phänomene teilweise in Form von Aphorismen mit einmaliger Prägnanz und sprachlicher Ausdruckskraft darstellt
  • stellenweise im Stil eines alttestamentarischen Propheten schreibt und immer wieder biblische Zitate im Lutherdeutsch verwendet
  • nicht zuletzt auch Prophezeiungen über die Zukunft macht

Es stellt sich zwangsläufig die Frage, ob wohl jetzt nach 400 Jahren die Zeit gekommen ist, die Jakob Böhme mehrfach vorausgesehen hat:

„Aber unterdessen grünet die Lilie im Wunder, wider welche der letzte Antichrist Verfolgung erregt, bis dann sein Ende kommt. Denn die Erscheinung des Herrn erstickt ihn. Dann wird Babel im Eifer und Zorn Gottes verbrennen und es ist erstaunlich, worüber ich keine Macht habe, deutlicher zu schreiben. Doch werden meine Schriften zur selben Zeit wohl dienen.
(5. Sendbrief an Carl von Ender, 12)

„Der Geist zeigt, daß noch vor dem Ende mancher Laie mehr wissen und verstehen wird als jetzt die klügsten Doctores wissen.“
(Aurora 8, 73)